STAY WILD!
Interview mit der Band vom Dezember 2007 in
"Alter-Original-Besetzung":
1. Wann und wie hatte sich BLUTTAT gegründet?
Bluttat gründete sich 1981 aus den „Resten“ von
Pissrinne (JOR, Ralph, Hans-Uwe), die im Rahmen einer
Fabrikbesetzung (alte Malzfabrik in MH, autonomes Kulturzentrum)
auf eine forsch freche 14-jährige Göre aufmerksam wurden: Anja
(=Atti). Fortan wurde in schwindelerregender Höhe (25 Meter, 7ter
Stock) auf einer 3 x 4 Meter großen Plattform mitten in einem alten
Silo geprobt und gepogt: Bluttat hatte sich gefunden… Intention:
Musik machen, Fun, Rauchen, Pogen, Alkohol und viel, viel
politische Aktivitäten, lange Sessions, wenig Schlaf, ab und an ein
wenig Sex…
Weiter 1. Was habt Ihr
damals, als Ihr angefangen hattet, mit Punk Rock verbunden?
Anders sein, frei sein, auffallen, Revolution,
Anarchie, wir wollten die Gesellschaft verändern/verbessern, auf
politische und soziale Missstände aufmerksam machen; Spaß musste es
natürlich auch machen, wir wollten uns die Aggis rausschreien (auf
positive Weise), andere mitziehen, wir hassten das Belehrertum und
jeden erhobenen Zeigefinger (Ihr wollt nur unser Bestes, aber das
kriegt ihr nicht…). Aber die Musik stand immer im Vordergrund, war
das Vehikel, unsere Droge, und schnell musste sie sein… Wir haben
uns im Dreck gesuhlt, gekloppt, geliebt und sind gemeinsam kreativ
in Bluttat verschmolzen. ATTI: Für mich war wichtig, dass Punk
Mucke auch immer politisch Position bezog indem weltpol.
Machtverhältnisse und/oder gesellschaftl. Verkrustungen schnell +
für Viele (per Mucke) verständlich machte. Allein dass das
„Abgerissen Rumlaufen“ provozierte, zeigte einem schnell wie dünn
die Makulatur über die nie abgelegte Nazimentalität + deren Sprache
(Ungeziefer, vergasen, einsperren) gepinselt war ……………………………
……………………………. Hätte vielleicht doch nicht an der lustigen Zigarette
ziehen sollen :-)
2. Welche musikalischen
Einflüsse waren Anfang der 80er Jahre für Euch wichtig?
Alles was Punk-Rock für uns war… vor allem aber
Pissrinne, da einige Stücke mit Bluttat weiterlebten
(Kreiswehrersatzamt Mettmann, Nötigung etc.). Natürlich auch
Einflüsse von John Peels Music, Clash, Discharge, Crass, U.S.
HARDCORE!!! X, Germs, Birthday Party, Bad Brains, Black Flag, DK,
No means No; Victims Family……………(please stop us!!!!)
3. Wie sah die Punk Rock
Szene im Ruhrgebiet damals aus?
Die Szene war damals politisch und solidarisch.
Gemeinsam wurden Häuser besetzt, mit den kommunalen Behörden
gestritten, mit den Bullen diskutiert und geschlagen. Die linken
Punks waren aktiv, rechte gab es nur ganz vereinzelt (wenn
überhaupt). Die Szene war harmonisch und trotzdem heterogen. Man
fiel als Punk (damals noch unangenehm!!!) auf und bediente nicht
die Mode „von der Stange“: Die Nieten haben wir noch selber in die
Arm- und Halsbänder geschlagen… Die Hosen hatten Löcher vom
Verschleiß und vom Domestos, nicht schon im Geschäft. Es gab eine
funktionierende Kommunikationsstruktur, wir Punks trafen uns,
hielten zusammen und uns gegenseitig auf dem Laufenden. Und das
alles nicht zuletzt durch die Fanzines (großartig
zusammengefrickelt, schlecht kopiert but Alles drin!!!+) Überall
lungerte der Helge rum, recherchierte, interviewte und war bestens
informiert :-)
4. Ihr habt Euch
ziemlich schnell einen guten Ruf erspielt. Wo habt Ihr damals
überall gespielt?
Es gab in Deutschland Anfang der 80er noch nicht so
viele Bands, die so einen „abgefuckten“ Sound machten wie wir.
Hinzu kam, dass wir vier völlig unterschiedliche Persönlichkeiten
mit jeweils eigenen Ideen und Zielen waren (und noch sind), die
sich gegenseitig zugelassen haben und damit nicht einer geraden
Linie folgten aber sich im gemeinsamen Angelpunkt des Punk blind
verstanden. Dabei ist irgendwie ein verspielter, gefummelter,
eigener Sound herausgekommen, zu dem eine gewisse Nachfrage
vorhanden war. Und nicht zuletzt: Wer hatte schon eine süße,
kleine, freche, versaute Frontmaus mit einer versoffenen, rauchigen
Stimme, die Bluttat nach vorne hin verkörperte? Wir waren einfach
da und haben uns ein Netzwerk geknüpft. Kurzum: Wir waren jedes
Wochenende unterwegs, in besetzten Häusern, kleinen Hallen,
Festivals, Kneipen in ganz „West“-Deutschland inkl. Berlin, damals
noch eingemauert. Wir waren überall dabei, für Freibier, Spritgeld
und Penngelegenheit ging bei uns alles… Wir wollten raus und
spielen!!! Wie kann sich jemand aus einer anderen Generation
eigentlich erdreisten, von einer „Geilen Zeit“ zu singen???
5. Eure erste Mini LP
"Liberté" war eine Eigenproduktion? Habt Ihr kein Plattenlabel
gefunden, was an Euch interessiert
war?
Wir wollten nicht „gelabelt“
werden, frei bleiben, selber machen. Wir wollten unsere erste
Scheibe im Proberaum aufnehmen, uns dabei besaufen, bekiffen, Fun
haben, unserer eigenen Linie treu bleiben, wir wollten rau,
authentisch und nicht verbogen klingen, unser eigener Herr/Frau
sein… unser Cover selber gestalten, die Sounds, Texte selber
bestimmen und uns nicht reinpfuschen lassen! Ein Student mit
entsprechenden finanziellen Mitteln finanzierte und produzierte
Liberté nach unseren Vorgaben. Um´s „Kohle machen“ ging´s uns
nicht, wir wollten unseren Sound „unters Volk bringen“ und uns
dabei „selbst befriedigen“. Atti: Abgesehen von „Liberté“ möchte ik
aber auch an MIKE JUST (Staving Missile Records) erinnern, der die
weiteren Scheiben produziert hat!!!! Und auf das „OX“ #73,
Sep./Okt. 2007 verweisen – Zitat (S.39):“ Wirklich Freude gemacht
hat alles mit und um MUSIKANT, BLUTTAT – Anja war die erste Frau,
die mir ein Küsschen gegeben hat und die Band war ihrer Zeit weit
voraus...“!!!! Gruß auch an Pattrick von Assel – Records aus
Göttingen, der die LIBERTE und die N`Kululeko 2005?? mit den
Original-Covern neu verlegt hat!!!! + uns bei ner Reuniontour auch
ne Singel finanzieren würde!!! Nicht zu vergessen an dieser Stelle
auch Rüdiger Thomas, von Teenage Rebel Records der das „alte“ Vinyl
auf digitale Silberlinge „gepresst“ hat. Irgendwie bringen wir
heute mehr Records unters Volk, als damals…, und last but not
least: Vor all dem Vinyl und digitalen Silberscheiben gab es auch
noch Christus aus Oberhausen, der mit seinen „Christus
Production“-Tapes für erste Verbreitungen von unserem Shit sorgte
(ja, ja, vor dem digitalem Zeitalter gab es damals noch
"Kassetten", das waren so kleine Plastikgehäuse mit ´nem Magnetband
drin, die haben fürchterlich "gerauscht". Kennt das noch
wer??????)
6. Welche Themen waren
Euch damals wichtig in Euren Liedern?
Wir wollten unsere politische Ausrichtung
kommunizieren und gleichzeitig unseren eigenen Herzschmerz
verarbeiten und auch verrückt sein… spinnen, Fun haben. Aber wir
wollten immer eine Botschaft senden, an alle die es interessierte,
oder eben auch nicht. Die Texte spiegelten oft eigene Erfahrungen
oder Baustellen wieder (Kreiswehrersatzamt, Nkululeko, Südafrika,
Apartheid, Kohl, AntiFa, Bundeswehr (wer wollte da schon hin,
Kriegsdienstverweigerung). Schaut euch einfach die Texte
an!!!
7. Welchen Stellenwert
hatten für Euch Fanzines? Wie sah die Kommunikation innerhalb der
Szene aus?
Fanzines waren (auch international z.B. Maximum Rock`n`Roll...)
anyway die einzige „Fachliteratur“ at this time!!! Wenn Bands im
Radio gespielt wurden (was außer bei PEEL nie!!! vorkam) oder in
irgendwelchen, äh, „Zeitschriften“?? erwähnt wurden war das = total
uninteressant = kann kein Punkrock bzw. Hardcore sein!!! Fanzines
waren auch das wichtigste Medium neben Platten, Hörensagen und
Auftritten auf sich, Gesinnungen, `What happens` aufmerksam zu
machen. Atti war unsere PR Frau, die hat sich um den ganzen Krempel
äußerst kreativ und ausdauernd erfolgreich kümmerte. Das Wichtigste
für uns: Wo können wir spielen? Was gibt´s da zu trinken? Wo können
wir pennen und wer zahlt den Sprit? Wo laufen gute Konzerte? Was
gibt´s an neuen Bands? Welche Kneipe macht neu auf oder gibt´s
schon gar nicht mehr, wo ist ein Haus besetzt worden (ey, da müssen
wir sofort hin!!!) Wen können wir wo wieder treffen?
8. Habt Ihr jemals eine
Tour gespielt? Wieviele Konzerte habt Ihr während Eures Bestehens
gespielt?
Wir waren immer auf Tour, keine wochenlangen
Kalender-Abreiß-Auftritte, aber stete Präsenz in ganz Deutschland.
Lange Touren ließen sich damals nicht finanzieren, aber unterm
Strich sind wir auf mindestens 250 Gigs gekommen und bei plus/minus
gar nichts gelandet (aber das wollten wir ja auch gar nicht!!!).
Man mag es heute nicht glauben, aber Anfang der 80´er spielten wir
auf Festivals u. a. mit den Toten Hosen, auf denen Bluttat die
Headliner waren... P.S. Möge ihnen die "1Live Krone" für 25 Jahre
kommerziellen Punk gegönnt sein... Kaum zu glauben, wie sich manche
Dinge im Laufe der Jahre (ja, hallo, wir sprechen hier ja schon von
Jahrzehnten) entwickelt haben...
9. Circa Mitte der 80er
Jahre hatte sich der Punk Rock vom England-beeinflußten Punk Rock
hin zum stark Amerika beeinflussten Hardcore entwickelt. Wie habt
Ihr das damals empfunden?
1983 veröffentlichten wir unsere LP „Nkululeko“:
Wütender, treibender Hardcore Punk mit politischen und persönlichen
Texten. Dass sich viele englische und amerikanische Bands später
dem Hardcore zugewendet haben, fanden wir nur natürlich. Bluttat
hat sich immer „selbständig“ weiterentwickelt, gehört haben wir
aber immer alles, letztlich war es egal, wo der Sound herkam.
Hauptsache er war gut, authentisch und ehrlich.
10. Wie habt Ihr das
Szenen Netzwerk Mitte der 80er Jahre empfunden im Vergleich zum
Anfang der 80er Jahre?
Hatte die linke Punk-Szene Anfang der 80 Jahre fast einen
Alleinvertretungsanspruch, so organisierte sich die rechte Szene
mittels Fascho-Punks und Skins Mitte der 80er zusehends. 1984
streckten sich uns bei einem Konzert in der Wuppertaler „Börse“
rechte Arme entgegen. Das Publikum teilte sich in 2 Hälften und
rief rechts „Deutschland“ und links „Nazis verrecke“. Das war neu
für uns und für viele, die diese Zeit damals erlebten. Der „Feind“
war nun innerhalb der vermeintlich eigenen Reihen. Einher trat auch
gleichzeitig die Kommerzialisierung des Punks als Modeerscheinung.
Frisur, Kleideraccessoires fanden Eintritt in den Kommerz.
11. Wann habt Ihr Euch
aufgelöst? Was war der Grund dafür? Was war Euer letztes
Konzert?
Mit dem Weggang von Atti (jetzt seit Jahren Sängerin
bei der legendären Berliner Mädelsband PAYBACK5 (my space/
payback5) u.a. Support von T.S.O.L.; Me First & the Gimme
Gimmes; Rancid; Fuzztones....und als letztes Jingo de Lunch 20
Anniversary Reunion Tour) irgendwann Mitte der 80er nach Berlin
(ja, muss die Frau denn unbedingt Kunst in Berlin studieren?), war
Bluttat nicht nur der Stimme, der Frontfrau sondern auch einer der
vier Seelen beraubt. Bluttat funktionierte nur in der Konstellation
aus Atti, Ralph, Hans-Uwe und JOR. An das letzte Konzert kann sich
aus Trauer und dessen Bekämpfung niemand mehr erinnern, irgendeines
der zahlreichen wird es wohl gewesen sein…
12. Habt Ihr in den
letzten Jahren noch einmal zusammen gespielt?
1998 konnten wir uns nicht mehr halten. Es musste
eine Reunion geben, zu groß war die Nachfrage und der Druck, die
alte Zeit noch einmal aufleben zu lassen: Gesagt, getan! „Stay Wild
Festival“ im „Wild at Heart“ in Berlin und Gig im „AZ“ in Mülheim…
Die Proben dazu gestalteten sich schwierig, Atti in Berlin, Ralph
in München, JOR und Hans-Uwe in Mülheim. Aber wo ein Wille, da auch
ein Bluttat-Punk-Konzert: Viele alte (und neue) Punk-Kollegen
krochen aus ihren Katakomben und feierten mit Bluttat 1998 die
Reunion, die „gute alte Zeit“ und sich selber!!! Fazit der Reunion:
War nen geiler Höllenritt !!!!!!!!!!!!!!!!
P.S. Wir arbeiten an der nächsten….. To be
continued…..