Doku von JOR zum Re-Release der "Nkululeko" 2016:
1984 – Krieg dem Krieg
Nach Liberté, dem
ersten Vinyl-Album von BLUTTAT (Liberté ist französisch und heißt
„Freiheit) hieß die zweite Scheibe „NKULULEKO“, statt in der
logischen Folge „Fraternité“ (aber bei „Brüderlichkeit“ wäre Atti
raus gewesen). „Nkululeko“??? Was ist denn das für ein bescheuerter
Album-Titel für eine Punkband? Zu dieser Zeit hießen die Platten
gängiger Weise: „Alle gegen alle“, „Bombs of Peace“, oder „Hass
allein genügt nicht mehr“, aber doch nicht „Nkululeko“!!!
BLUTTAT blieben aber ihrer Linie treu, denn „Nkululeko“ heißt
übersetzt ebenfalls „Freiheit“. Wir waren halt schon immer
unlogisch und anders. Wir waren politisch engagiert und wir
scheuten uns nicht, andere Wege einzuschlagen!
Trotz des kuriosen Namens ist „Nkululeko“ das bekannteste und nach
landläufiger Meinung beliebteste Album von BLUTTAT. Was im Übrigen
eine neue Ära in der Punk-Landschaft in Deutschland einleitete.
Wütender, treibender Hardcore Punk mit politischen und persönlichen
Texten. Das war Pionierzeit….
Zu dem Titel kam es damals, weil ein großer Teil der Band sehr
engagiert in der „Dritten-Welt“-Arbeit war (darf man heute gar
nicht mehr so nennen, aber früher hieß es echt so!). Heute heißt es
ja „Eine-Welt“, klingt gut, ist es aber auch im Jahr 2016 nicht
wirklich. DAS sieht man ja jetzt gerade live jeden Tag an den
Grenzen der „Einen-Welt“ – einfach krass! (Anmerkung des Autors:
Gemeint ist hier die „Flüchtlingskrise“ im Jahr 2016.
„Flüchtlingskrise“, was für ein Scheiß-Begriff! Menschen, die aus
Kriegsregionen flüchten, stürzen ein vor Wohlstand fett gefressenes
(Deutsch-)Land in eine „Krise“. In eine FLÜCHTLINGSKRISE! Was für
ein Unsinn!!!)
Aber zurück in die Vergangenheit:
Irgendwann Anfang der Achtziger ergab es sich, dass unser Bassmann
Hans-Uwe mit dem Mülheimer Filmemacher Gerd Meißner einen Trip nach
Zimbabwe (das frühere von der Apartheid geprägte Rhodesien) machte,
um die Situation dort nach der Unabhängigkeit 1980 in Bild und Ton
festzuhalten. Gerd Meißner drehte Mitte/Ende der 80er dann auch die
BLUTTAT-Doku „Die Wände kapier´n“, die als Bonus-DVD der
Vinyl-Neuauflage des 86er Albums „Cash, Invoice or Credit Card“
beiliegt.
Zimbabwe galt Anfang der 80er noch als Vorbild für eine friedliche
postkoloniale Transformation. Hans-Uwe und Gerd besuchten unter
anderem eine damals im Umbruch der Unabhängigkeit befindliche
Schule, die heutige Nkululeko-Highschool in Gwero! Die Eindrücke
vor Ort zu dieser Zeit prägten Hans-Uwe dermaßen, dass wir nicht
nur einen Song darübermachten („Nkululeko“), sondern aus
Solidarität mit der Schule auch die ganze Platte danach benannten.
Der Song endet mit einer Originalaufnahme eines Gesanges der
Schüler und Lehrer der Schule. Auch andere Texte auf dem Album
beschäftigten sich mit der Situation in Südafrika, wo noch bis 1994
die Apartheid herrschte („Südafrika“)
Aber die sogenannte „Dritte Welt“ war nicht unser einziges
„Problem“, wir hatten auch im eigenen Land mit den Veränderungen
der politischen Landschaft zu kämpfen. Hatte bis dato die linke und
Anarcho-Punk-Szene fast ein Alleinstellungsmonopol, fing die
Fascho-Szene an, sich besser zu organisieren. Auch Skins, die
anfangs noch in friedlicher Koexistenz mit den Punks lebten,
sympathisierten nun mit dem rechten Lager. Der Feind war plötzlich
innerhalb der vermeintlich eigenen Reihen angekommen. Das war neu
für uns Bluttäter und für viele, die diese Zeit damals erlebten.
Wir konnten und wollten nicht begreifen, dass rechtes Gedankengut
Platz in den Köpfen rebellierender Jugendlicher (die wir ja auch
waren und, ähm, sind) finden kann. Der Populismus von heute belehrt
uns aber leider immer noch eines Besseren... („Enar“)
1982 zerbrach die von Schmidt geführte sozial-liberale Koalition im
Rahmen des ersten „konstruktiven Misstrauensvotums“ in der
Geschichte des Bundestages und Kohl wurde für das Amt des
Bundeskanzlers nominiert. KOHL, ach du Scheiße! Als wäre nicht
alles schon schlimm genug. Nicht, dass wir den Sozialdemokraten
eine Träne nachgeweint hätten, aber es gibt ja den Spruch mit dem
„kleineren Übel“ und so schrieben wir den Song „Kohl ist gewählt“,
der dann 1982 auf dem Ultra-Hardcore-Sampler erschien (siehe die
Diskografie auf bluttat.com). Der Song kam damals allerdings nicht
mit auf die „Nkululeko“ (schade eigentlich), sondern erschien erst
wieder 1995 auf der „Freiheit!“ CD. Da war Kohl aber immer noch
Kanzler, der Song war zu diesem Zeitpunkt also immer noch aktuell!
Anfang der 80er gab es dann einen Lichtblick in der verkrusteten
politischen Landschaft, die 1980 gegründeten Grünen zogen 1983
erstmals in den Bundestag ein, damals ein chaotischer Haufen, ohne
Krawatten und „parlamentarischen Anstand“. Absolutes „Neuland“, das
gab es bis dato nicht.
Trotz der Grünen wurde noch im selben Jahr in Deutschland mit der
Aufstellung neuer Atomraketen begonnen, obwohl die meisten
NATO-Staaten das nach dem Scheitern der Genfer Verhandlungen nicht
taten. Wir bekamen also einen ganzen arschvoll neuer Pershing
II-Atomraketen ins Land und wurden so somit das Angriffsziel Nr.1
in Europa! Viele Texte auf der „Nkululeko“ beschäftigen sich daher
mit Krieg, Bundeswehr, Verweigerung etc. („Krieg dem Krieg“, „Fight
your wars“, „I´m feeling down“, „Abendrot“ …). Die atomare
Bedrohung, sie war allgegenwärtig, greif- und spürbar.
Und nicht vergessen: Wir schrieben das Jahr 1984, das bereits
George Orwell als Setting für seinen legendären Endzeitroman
diente. Exakt 35 Jahre nach Erscheinen desselben, wirkte der von
ihm prophezeite Überwachungsstaat in greifbarer Nähe.
Ja, wir waren die „No-Future-Generation“. Es gab kein Internet,
keine E-Mail, kein Google und kein Facebook. Würde man das heute
alles abschalten, dann wäre die ganze Welt eine
„No-Future-Generation“!!!! Warum sollte es uns also damals
bessergehen? Okay, wir hätten es nicht vermisst, weil: gab es ja
noch nicht! Wir sind aber in der Gegenwart und sucht man heute nach
dem Begriff „No-Future-Generation“ im Internet findet man fast
immer nur, dass wir „aufgrund der schwierigen Lage am Arbeitsmarkt
oder in der Ausbildung in die Resignation verfielen“, dass wir „das
Gefühl hatten, nicht gebraucht zu werden“, dass wir „keinen Bock
hatten“ (obwohl, das könnte stimmen…). Das mag alles eine Rolle
gespielt haben, wir haben aber vieles völlig anders empfunden. Uns
gruselten das Wettrüsten, die Umweltzerstörung, die Ölkrisen und
der munter vonstattengehende Ausbau der Kernkraft. Viele gingen
damals davon aus, dass wir in Europa, und insbesondere in
Deutschland mittelfristig nicht überleben würden („Bear the truth“,
„Burned out“, „Tommy“).
Aber das lähmte uns nicht in unseren Aktivitäten, sondern spornte
uns an, noch mehr gegen die ganzen Missstände vorzugehen. Sei es
auf Demos, bei Besetzungen oder eben mit der Musik, in der sich die
ganze Aggressivität und Unzufriedenheit über die Situation entlud.
Es war schon hilfreich, so ein Ventil zu haben und auch die Meute
der Zuhörer nahm das mit jedem Gig und jeder Platte dankbar auf.
Klingt jetzt alles als wären wir den ganzen Tag mit gesenktem Kopf
und trüben Mienen durch die Gegend gelaufen. Der positive
Neben-Effekt des No-Future-Gefühls war aber, dass wir jeden Tag
lebten, als sei es der Letzte. Also immer volle Pulle, Mitnehmen
was geht, Fun haben, Gigs machen und Platten aufnehmen („Pils“).
Nach uns die Sintflut! Scheiß auf das Establishment. Scheiß auf
alle Normen und Konventionen. Die waren eh alle dem Untergang
geweiht und wenn nicht, dann wollten wir die sowieso nicht
haben.
AIDS war Anfang der Achtziger noch kein Thema und so kam es immer
wieder zu gewolltem, aber ungeschütztem Sex. Kondome gab es nur
teuer in der Apotheke oder in schmuddeligen Automaten zu kaufen und
viel Kohle hatten wir eh nicht („Wieder mal geklaut“). Die „Pille“
war noch nicht so populär wie heute und daher war stets der fahle
Beigeschmack einer ungewollten Schwangerschaft dabei („Doc“).
Apropos Platte: Anfang der Achtziger war „Platten machen“ ein echt
kostspieliges Unterfangen, dass wir uns selber gar nicht leisten
konnten. Zum Glück gab es da Klaus Frentrop, der die „Nkululeko“
produzieren und finanzieren wollte (und konnte). Im Gegensatz zur
Liberté, die wir im eigenen Proberaum aufgenommen hatten, durften
wir diesmal in ein echtes Ton-Studio in Düsseldorf. Das war
spannend, das hatten wir noch nicht, ein echtes Ton-Studio für ein
eigenes Album… Die Platte haben wir dann bis auf ein paar Ausnahmen
live eingespielt. Da wurde noch nichts digital geschnitten. Das ist
das, was heute ein bisschen fehlt, dieses nicht-ganz-perfekte, aber
dafür rau, wild und echt! Selbst „Nightmare“ wurde live mit
Akustikinstrumenten eingespielt, nur das Drum kam hinterher drauf,
was für Ralph eine völlig neue Erfahrung war. Schaut man sich mal
den Trend an, der seit Jahren wieder zurück zum Vinyl geht, so hört
und liest man auch immer öfter, dass die Bands ihre Songs wieder
live einspielen. Gut so, das mögen wir. Ach, und ein bisschen
modern wollten wir auf der „Nkululeko“ natürlich auch sein. Derzeit
kam doch der Rap und Hip-Hop gerade in Deutschland auf und so
rappte sich Uwe durch den Song „People“. War also auch echt
Pionierarbeit zu dieser Zeit. Das gab es in dieser Form noch nicht
und vor allem nicht von einer Punk-Band.
Tja, und
dann kam das Cover der „Nkululeko“. Es sollte ein großes
Poster-Falt-Cover sein, mit allen Texten, Fotos und dem Bild einer
schwarzen Frau mit einem Riesen-Granat-Werfer als Symbol für die
Revolution und den Widerstand. Das besagte Fold-out Cover konnte in
unserer damaligen Druckerei nicht maschinell gefalzt werden, also
kamen die Platten nur in der Innenhülle aus dem Presswerk und die
Cover wurden als riesige Poster auf einer Palette angeliefert. Wir
haben uns alle bei Klaus getroffen und dann in echter Handarbeit
jedes einzelne Cover gefaltet und die Platten da rein geschoben….
Wahnsinn!!! War aber ein echtes Highlight mit jeder Menge Bier,
Musik und Spaß… Ich glaube wir haben damals mehrere Tage dafür
gebraucht und uns die Finger im wahrsten Sinne des Wortes schwarz
gefaltet. Wer also noch eine original „Nkululeko“ Scheibe besitzt,
darf sich glücklich schätzen. Hey, vielleicht ist die ja von Atti
gefaltet worden? Als wir im April 2013 in der Köpi in Berlin
gespielt haben, kam ein älterer Punk mit einer
„Nkululeko“-Originalscheibe zu uns, um sich die signieren zu
lassen. Das Cover war ziemlich abgewetzt und das war das letzte
Mal, dass ich ein Exemplar der Erstpressung gesehen habe. Seltenes
Teil inzwischen.
Nachdem „Cash, Invoice or Credit Card“ und „Raw and Pure 1981-1984“
bereits in aufwändiger Vinyl-Aufmachung auf Colturschock erschienen
sind, ist es total geil, dass unser zweites Album jetzt inclusive
des Fold-out Posters auch dort als LP neu aufgelegt wurde.
Jeder Käufer reist damit 32 Jahre „Voran in die
Vergangenheit“.
Stay wild!